Die Degeneration der Nation
Die Haaretz ist schuld an Bibi - Teil 2: So baut man keine Mauer
Die "Haaretz" [eine der wichtigsten israelischen Tageszeitungen] zog es vor, unter dem Druck der Einschaltquoten zusammenzubrechen und sich hinter einer Bezahlschranke zu verstecken - als einzige in Israel! - aus Mangel an Überlegungen zu Alternativen, und vor allem aus Mangel an Nachdenken über die Bedeutung dieser Entscheidung. Die israelische Gesellschaft und die Haaretz-Lesergemeinschaft wurden davon auf zwei gegensätzliche Arten beeinflusst - die ihre Verbindung zueinander auflösten
Von: Die Hündin
Mit dem Kopf durch die Wand. Und dann wundert man sich über die Gehirnwäsche, die Bibi den Israelis angetan hat (Quelle)
Vor kurzem titelte Haaretz: "Die Gründung von 'Israel Hayom' [kostenlose Tageszeitung] - der schicksalhafte Tag in Netanyahus Karriere". Die Behauptung war, dass angesichts seiner strafrechtlichen Verstrickungen in Pressefragen, dem Grund für die vorgezogenen letzten Wahlen (Presse), und überhaupt all seiner Beziehungen zur Presse (Presse!) - das Geschenk, das ein vermögender Zeitungsbesitzer Netanyahu vor Jahren machte, sich als Wendepunkt in seiner Karriere abzeichnet, und auch in der israelischen ideologischen Wende nach rechts. Aber es gibt noch einen vermögenden Zeitungsbesitzer, der Netanyahu vor Jahren ein vielleicht nicht weniger großes Geschenk machte, das sich rückblickend auch als zentraler Punkt in der israelischen Wende nach rechts erwies. Er heißt Schocken. Und dieses Geschenk nennt sich Bezahlschranke.

Wenn es ein zusätzliches Geschenk gäbe, das sich Netanyahu gewünscht hätte, neben einer kostenlosen, offenen, unterstützenden und liebevollen Hauszeitung, dann wäre es, dass die gegenteilige, hassende und oppositionelle und prestigeträchtigste Zeitung auf dem Markt sich hinter einer Mauer versteckt, die es ihr nicht ermöglicht, über die treueste Stammleserschaft hinaus Publikum zu erreichen. Haaretz würde nur die bereits Überzeugten überzeugen, und Israel Hayom würde alle anderen überzeugen. In beiden Fällen handelt es sich um genau dieselbe Bewässerungsmethode, zwar langsam aber über die Zeit sehr effektiv für das Wachstum von Trends: die Tropfmethode. Bei Haaretz ist sie raffinierter und versteckter, und daher viel effektiver und gefährlicher als die recht durchsichtige Methode von Israel Hayom, weshalb es sehr wichtig war, dass sie die breite Öffentlichkeit in Israel nicht erreicht.

Was hat die Bezahlschranke bei Haaretz bewirkt? Zunächst einmal ist die Mauer transparent für diejenigen, die sich innerhalb befinden. Für die Leser der Inhalte ist es sehr leicht zu vergessen, wer alles nicht lesen kann, und zu fühlen als hätten die veröffentlichten Dinge eine ernsthafte Resonanz in Israel. Die haben sie nicht. Auch die Autoren selbst vergessen das, weil sie ja alles lesen können, und auch alle um sie herum, und das Bewusstsein verdrängt, wie weit das von der Situation in der Außenwelt entfernt ist. Vor der Mauer und über Jahre hinweg war Haaretz ein Pionier in digitalen Medien und hatte tatsächlich einen viel höheren Ausgangspunkt als Israel Hayom, und viel höher als die Reichweite vor dem digitalen Zeitalter (etwa 700.000 monatliche Besucher damals, heute wären es wahrscheinlich schon über eine oder zwei Millionen oder mehr gewesen, im Vergleich zu einer Größenordnung von Zehntausenden heute, die die Inhalte innerhalb der Mauer lesen).

Im wesentlicheren Sinne ist die Mauer eine Blase - und schafft ein Blasenbewusstsein. Der Diskurs in Haaretz wurde zunehmend zu einem geschlossenen, internen Diskurs einer Gruppe, die mit sich selbst spricht, deren Resonanzraum begrenzt und relativ homogen ist und die sich auch nicht bewusst ist, was außerhalb passiert (und gelesen wird). Geben Sie einem durchschnittlichen Haaretz-Abonnenten eine Ausgabe von Israel Hayom (kostenlos!) und Sie werden einen überraschten Blick und ein Gefühl des Entsetzens erhalten. Ja, Bibi hat eine riesige Blase außerhalb der Mauer geschaffen. So etwa wie der Unterschied zwischen dem alten Jischuw in der Altstadt und der riesigen Metropole unserer Tage - nach dem Verlassen der Mauern. In der sich abschottenden Siedlung von Haaretz gibt es wechselnde modische Wellen moralischer Panik, viel Identitätspolitik des Scheins, wenig neue Ideen, Ausgrenzung unkonventioneller Stimmen und sehr wenig Dialog mit der israelischen Realität außerhalb - und das ist völlig gegenseitig.

Was einst die Homepage vieler Israelis war (die weit von Meretz [linke Partei] entfernt waren) wurde zu einer fernen Erinnerung an ein sich abschottendes und seltsames Medium (während das gesamte israelische Internet kostenlos weit offen ist!) irgendwo im großen Bibi-Staat. Wenn Bibi sich nicht ab und zu die Mühe machen würde, Haaretz zu diffamieren - wer würde noch von ihr hören? Haaretz wurde zu den Ultraorthodoxen der Medien. Gehasst. Unbekannt. Sich abschottend. Unverstanden. Mit allerlei seltsamen Rabbinern und seltsamer Sprache und seltsamen Verboten. Von einem führenden Medium - zu einem Pashkevil [ultraorthodoxes Wandplakat].

Die Hündin umgeht natürlich die Mauer durch Lücken im Zaun und hat nie einen Schekel bezahlt, aber sie ist sich bewusst, dass aufgrund ihrer besonderen Körperform nur wenige wie sie durchschlüpfen können. Wenn sie nicht befürchten müsste, dass die Lücken gestopft werden (was man Feindbewusstsein nennt, denn schließlich liest auch "Haaretz" hier mit!) - würde sie sie hier als Service für die Öffentlichkeit detailliert aufführen. Denn es widerspricht einfach der DNA der breiten israelischen Öffentlichkeit zu bezahlen (für Inhalte und andere Dinge. Und viel mehr als andere Völker, denn bei uns gibt es ja keine Freiers [Trottel]). Tatsache ist, dass Haaretz - Pionier von Mauer und Turm - die einzige (!) geschlossene im Land blieb. Andererseits kostet eine Zeitung Geld. Was zum Teufel will die Hündin also vom armen Schocken?

Zunächst einmal will sie die Erkenntnis, dass ein Medium im Internetzeitalter kein Geschäftsunternehmen mehr ist - sondern ein ideologisches Projekt. Das ist keine Art von Geschäft, das auf Profit ausgerichtet ist. Das ist eine wirtschaftliche Tatsache, die auch einen Wahrnehmungswandel darstellt. Der Wunsch, eine Geschäftsorganisation zu bleiben - ist der marxistische Tiefengrund für die Degeneration von Haaretz. Zwar gibt es auch eine Verarmung des Geistes bei Haaretz, aber ohne Mehl gibt es keine Torah. Zwar bewahrt Schocken die Unabhängigkeit von Haaretz in anerkennenswerter Weise, und überhaupt verdient er persönlich große Anerkennung, aber die Unabhängigkeit ist der vorherige Krieg, während er heute Tag für Tag und Stunde für Stunde in der Schlacht verliert, in dem was nicht weniger als ein Krieg um die Seele des Staates ist. Man kann keine neue "Haaretz" aus dem Nichts schaffen und die Tatsache, dass es keine Konkurrenz gibt - aber diese Situation bringt auch Verantwortung mit sich. Letztendlich "gehört" Haaretz nicht Schocken sondern uns - seinen Lesern, die am Ende auch seine Autoren sind.

In dem Moment, als Haaretz die falschen Lösungen für die neue Mediensituation wählte, manövrierte sie sich in einen unvermeidlichen Niedergang und Verfall, in einen langsamen, qualvollen und wahrscheinlich auch unnötigen Tod. Auch heute hat sie keine Möglichkeit, ein erfolgreiches Geschäftsunternehmen und gleichzeitig eine erfolgreiche Zeitung zu sein. Das ist ein Widerspruch in sich. Die Spannungen sind zu stark für menschliche Kräfte (und ja, es gibt heute keinen Herkules bei Haaretz): Mehr Traffic - niedrigeres Niveau. Dominanz des Traffic-Denkens - Rückgang des inhaltlichen Denkens. Niveauabfall, weniger interessante und qualitativ hochwertige Inhalte - Rückgang der Leserzahlen. Rückgang der Leserzahlen - weniger Geld. Weniger Geld - Auswahl von Autoren mit niedrigerem intellektuellem Niveau, die mehr Traffic bringen, Entlassungen und Trennung von elitäreren Autoren und weniger Inhalt. Ab und zu gelingt es, einen stabileren Zustand zu erreichen, aber dann kommt wie immer im Internetzeitalter eine technologische Veränderung wie Facebook oder eine Richtlinienänderung innerhalb von Facebook und bringt wieder alles ins Trudeln. Das nennt man: Zusammenbruchsdynamik. Man kann sie verzögern - aber nicht verhindern. Und wenn Haaretz sie doch überlebt - dann nur, weil sie zu Mako [Unterhaltungsportal] wird. Und was haben wir dann erreicht? Vielleicht das, was wir heute tun - statt wirtschaftlich zusammenzubrechen, sind wir geistig zusammengebrochen. Statt geschäftlicher Insolvenz - kultureller und intellektueller Bankrott. Und wenn "Haaretz" sich für den Selbstmord entscheidet - ist es dann nicht besser, schon durch das eigene Schwert zu sterben?

Erst nachdem die ganze Schwere dieses Groschen fällt - mit dem Gewicht von etwa zwei Millionen Menschen im Staat Israel, plus das ganze historische Gewicht von Haaretz als wesentliche säkulare Kulturinstitution - dann kann man reden. Denn was Schocken hätte verstehen müssen ist, dass er kein Adelson ist. Dass dieses Gewicht seine Schultern übersteigt (einschließlich deutscher Verstärkungsspieler) - und auch zu bedeutend ist um zu fallen. Ein echtes Gefühl der Alternativlosigkeit hätte klargemacht, dass Haaretz einen Patron vom Kaliber Sheldon [Adelson] finden musste. Schocken ist kein Tycoon, aber es mangelt nicht an jüdischen Vermögenden in der Welt, denen Israels Gestalt wichtig ist - nicht weniger als den Eigentümern von Israel Hayom. Es mangelt auch nicht an europäischen Spendern für den Frieden. Ein Großspender oder eine Koalition von Spendern hätten Haaretz sogar in eine Gratiszeitung verwandeln können - als Gegengewicht zu Israel Hayom. Wenn dieser Tag gekommen wäre und die Mauern gefallen und weit geöffnet worden wären, hätte sich das vielleicht nach einigen Jahren als nicht weniger wichtiger Tag erwiesen als der Tag, an dem Israel Hayom zum ersten Mal erschien, der Tag an dem endlich eine weitere Pendelbewegung im israelischen Bewusstsein begann, diesmal nach links - und vielleicht sogar in Richtung Frieden.

Eine gut finanzierte "Haaretz" hätte auch zehn Gidi Weitz [investigativer Journalist] einstellen können, die jahrelang arbeiten und Bibis Haare in eisernen Recherchen durchkämmen würden - bis zu seiner Inhaftierung hinter eisernen Gitterstäben. Seine Läuse sind ja in der Größe von Elefanten (oder Walen), und man hätte sie längst aufspüren können. Aber auch eine nicht gut finanzierte "Haaretz" hätte das tun können - Anstrengungen bündeln. Auch eine nicht gut finanzierte "Haaretz" hätte die Bezahlschranken in Wahlkampfzeiten öffnen können. Wissen Sie was? Nur zwei Wochen vor der Wahl. Nur zum Kennenlernen (da steckt sogar eine gewisse geschäftliche Logik drin). Wenn "Haaretz" verstanden hätte, dass so wie Bibi ein Sprachrohr hat auch die Linke ein Propagandablatt verdient, und dass sie in erster Linie ein ideologisches und kein geschäftliches Projekt ist - diese Dinge hätten auch heute geschehen können. Aber "Haaretz" hat sich, wie es Organisationen zu tun pflegen, dafür entschieden, sich nicht neu zu denken, die Auffassung nicht zu ändern als sich die Realität änderte, an der Konzeption festzuhalten - und zu verkümmern. Und das ist sehr schade, denn "Haaretz" als Gratiszeitung hätte ein wunderbares Geschenk für Bibi sein können.
Kritik an Haaretz