Die Unterdrückung der aschkenasischen Kultur
Das Konzept des orientalischen Judentums ist völlig lächerlich. Ist Spanien der Orient? Ist Marokko der Orient? Das ist doch der äußerste Westen
Von: Gabi Aschkenasi
Der chassidische Weg ist die Avantgarde
(Quelle)Ich träumte, dass die Ultraorthodoxen beginnen, gegen die Unterdrückung der aschkenasischen Kultur zu protestieren. Genug mit der sephardischen Hegemonie! Es lebe die aschkenasische Revolution! Und da kommt ein professioneller Mizrachi [orientalischer Jude] zu mir: Wovon redet ihr? Die Aschkenasim beherrschen diesen Staat schon seit 120 Jahren. Und ich sage: Wovon redest du? Von den Säkularen? Sag mal, was ist an denen aschkenasisch? Sie sind völlig sephardisch geworden. Sie haben nicht einen Hauch der prächtigen aschkenasischen Kultur. Sie sprechen in sephardischer Aussprache, essen Falafel statt Kugel [traditionelle aschkenasische Speise], haben nie einen Streimel [traditionelle Kopfbedeckung chassidischer Juden] getragen, kennen die aschkenasischen Bräuche nicht, haben kein Wort von Raschbam bis Rema [bedeutende aschkenasische Rabbiner] gelesen, haben keine aschkenasische Mentalität, kennen nur drei Wörter auf Jiddisch: Zizi, Pupik und Tuches. Kulturell sind sie völlig wie Nichtjuden. Es soll eine Kommission zur Stärkung des aschkenasischen Judentums eingerichtet werden! Ihr habt die jiddische Literatur unterdrückt, die chassidischen Maler ausgelöscht, die chassidischen Tänze grob ausgegrenzt, und wann wurde jemals im Radio ein aschkenasischer Niggun [chassidische Melodie] oder Chasonus [kantoraler Gesang] gespielt? Sogar die Jiddische Mamme haben die Säkularen ausgerottet, und heute schreien ihre Mütter die Kinder auf der Straße an.
Und der Mizrachi wird wütend (obwohl es nicht politisch korrekt ist zu schreiben, dass ein Mizrachi wütend wird): Kannst du das mit der Unterdrückung der Mizrachim vergleichen? Und ich sage: Mizrachim? Das orientalische Judentum ist ein völlig lächerliches Konzept. Ist Spanien der Orient? Ist Marokko der Orient? Das ist doch der äußerste Westen. Woher habt ihr diesen Unsinn, euch selbst Orientalen zu nennen? Vielleicht vom Orientalismus? Denn die richtige Idee wäre Judentum des Nordens und Judentum des Südens. Ein einziger Blick auf die Karte macht das klar. Also warum Mizrachim, vielleicht um euch nicht Sephardim zu nennen, weil das zu religiös ist, obwohl das eure wahre Tradition ist, die ihr aus Selbsthass verleugnet? Kurz gesagt, ihr habt eure Tradition nicht bewahrt, und wir schon, und daher kommt euer Neid und euer Hass. Ihr, im Gegensatz zu uns, kleidet euch wie moderne Nichtjuden und denkt wie moderne Nichtjuden, und nicht wie das alte Israel. Die Säkularität ist eine Kultur, und Kultur hat eine Herkunft, nicht nur Menschen. Aber was soll man machen, ihre Herkunft ist nicht jüdisch. Eure ganze soziale Struktur ist völlig nichtjüdisch, ihr glaubt sogar an die Demokratie, die eine griechisch-heidnische Erfindung ist.
Und der Mizrachi schreit (obwohl es nicht politisch korrekt ist zu schreiben, dass ein Mizrachi schreit): Du willst mir sagen, wer jüdisch ist! Mein Großvater war viel jüdischer als du. Ihr aschkenasischen Ultraorthodoxen seid extremistisch-fundamentalistisch-lebt in Polen, im Gegensatz zur Mäßigung des orientalischen Judentums, also Sephardim. Und du, der von den Budgets profitiert, solltest der Demokratie danken! Und ich sage: Nein danke! Siehst du nicht, dass die Demokratie weltweit im Niedergang ist und zur Ochlokratie wird? Nach Polybius ist das eine notwendige historische Phase auf dem Weg zum Königreich des Hauses David, der bekanntlich Aschkenase war, Tatsache ist, dass Raschi von seinen Nachkommen ist. Bis zum Ende des Jahrhunderts wird es keine Demokratie mehr geben, pfui!
Und jetzt lacht der Mizrachi (ich glaube, es ist in Ordnung zu schreiben, dass ein Mizrachi lacht): Also bist du auch gegen die Demokratie und willst einen aschkenasischen König? Du bist ein echter Clown. Und ich lache: Natürlich! Die Ausbreitung des Populismus auf der Weltkarte ist identisch mit der Ausbreitung von Facebook, und das ist vielleicht endlich das Ende der Demokratie. Es wird irgendein Facebook-Hitler aufstehen, so wie der erste Hitler der des Radios war, das ein ähnliches Medium ist, oral, aber er wird sich nicht mit der Vernichtung eines Volkes beschäftigen, sondern mit der Vernichtung von Kultur. Der erste Internetkrieg wird ein Kulturkrieg sein. Das bedeutet nicht, dass keine Menschen eliminiert werden, sondern dass die Menschen, die eliminiert werden, Kulturmenschen sein werden, und Menschen werden kulturell eliminiert werden. Und dann wird man endlich verstehen, dass man der Masse keine Macht geben darf, die man heute gerne die Öffentlichkeit nennt, als ob das besser wäre. Und die ganze Welt wird verstehen, dass der Weg, mit der Technologie umzugehen, der aschkenasisch-chassidische Weg ist. Nicht unbedingt religiöse Frömmigkeit, es kann auch säkulare, buddhistische oder muslimische Frömmigkeit sein.
Der große Fehler ist die Identifizierung der Ultraorthodoxie mit dem Fundamentalismus. Die religiösen Zionisten sind die Fundamentalisten des Judentums. Die Ultraorthodoxie ist etwas anderes, ein völlig anderer Vorschlag für die Welt, den sie völlig verpasst hat. Die Ultraorthodoxie ist eine Radikalisierung der Tradition, nicht der Religiosität. Sie beschäftigt sich mit kultureller Bewahrung, aber nicht mit musealer, sondern lebendiger Bewahrung. Das Wesen der Ultraorthodoxie ist die eifrige Bewahrung der Kultur und die Annahme nur solcher Medientechnologien und sozialer Strukturen, in denen die Kultur existieren kann. Nicht jede Kultur kann in jedem Medium und jeder Struktur existieren. Das Buch hat viele Kulturen vernichtet. Darunter natürlich Geheimkulturen. Das Buch hat den Sohar getötet, allein durch den Akt des Druckens wurde er tot. Facebook tötet die säkulare Kultur und sie weiß es noch nicht. Menschen lesen keine Literatur mehr. Und sogar Literaturmenschen bevorzugen Facebook gegenüber einem Buch. Wenn es keine literarische Gemeinschaft von der ultraorthodoxen Art gibt, wird der Roman bald in unseren Tagen sterben, Amen. Und nur der Traum wird bleiben.
Und der Mizrachi grinst: Komm schon, ihr seid doch nichts weiter als eine Reaktion auf die Säkularität! Und ich antworte ernst: Genau! Und genau so schreitet die Geschichte voran, durch Reaktionen, auf dialektische Weise, und wir sind die nächste Phase. Die Ultraorthodoxie ist die nächste Epoche nach der Aufklärung, daher ihre Neigung zum Schwarz, sie ist eigentlich eine Gegenrevolution zur Renaissance, sie kämpft gegen den Menschen zugunsten der Kultur, um uns zurück in die gesegnete Dunkelheit des Mittelalters zu bringen. Die Geschichte mit dem Individuum ("Ich, ich, ich!") ist vorbei und jetzt ist es nur noch die Dekadenz dieser Epoche. Nach der Postmoderne und dem Posthumanismus wird es Neo-Mittelalter geben, die neue Dunkelheit - und das ist die Ultraorthodoxie.
Wenn etwas so alt wird, dass es scheint, als sei es völlig überholt - dann ist es Zeit, dass es immer zurückkommt, denn alles geschieht in Wellen und Kreisen, das ist die fraktale Natur der Geschichte. Nur die Dummköpfe jeder Epoche denken, dass die Zeit ein Pfeil nach vorne ist, in ihre Richtung natürlich, für immer, und können deshalb die Zukunft nicht sehen, weil es eine Grenze gibt, wie weit man in eine Richtung gehen kann. Und sie sind immer, immer überrascht von der ältesten und stabilsten Bewegung im Universum, von den Atomen bis zu den Galaxien - der zyklischen Bewegung. Und deshalb ist die Ultraorthodoxie die Avantgarde. Auch aus literarischer Sicht. Die Literatur der Zukunft wird viel mehr wie eine Talmudseite aussehen als wie eine Romanseite. Das ist das Ende der langen Texte. Das war's.