Der endgültige Sieg der Pornografie
So wie die Aufklärung das Zeitalter vor ihr als dunkle Epoche definierte - so definierte das Zeitalter der Nacktheit die Zeit davor als Epoche der Verhüllung. Die Sexualität wird nicht geheilt werden bis zur absoluten Nacktheit - die den Frieden im Geschlechterkrieg bringen wird, einem Krieg, der so alt ist wie die Kleidung selbst
Von: Ido We-Enam
Wir, die letzten bekleideten Frauen, wurden als finstere Verhinderer des sexuellen Friedens angeprangert
(Quelle)Einst war es keine Sensation, eine nicht nackte Frau zu sein. In jener Zeit konnte man bekleidet überall hingehen, sogar auf der Straße, und nicht nur zu Hause (oder später ausschließlich im Bett). Kein Mann hätte gedacht, ich hätte etwas zu verbergen, und fragte gleich in seiner ersten Frage, warum ich nicht wie alle anderen nackt sei. In jener Zeit waren attraktive Frauen bekleidet und zogen sich nur im Bett aus, und ausgerechnet die nackten Frauen galten als abstoßend, bis die Kleidung selbst als erregend galt und ihr große Aufmerksamkeit gewidmet wurde (ein Paradoxon, das wir heute nicht mehr verstehen).
Jahrtausende lang galt Nacktheit als unanständig, seit sie Wilde von Kulturmenschen unterschied, bis das pornografische Zeitalter begann. Aber damals wusste man natürlich nicht, dass man es so nennen würde. Es gab viele Neuerungen und manche erschienen auf den ersten Blick revolutionärer. Und so wie die Aufklärung das Zeitalter vor ihr als dunkle Epoche definierte - so definierte das Zeitalter der Nacktheit die Zeit davor als Epoche der Verhüllung. Denn die Nacktheit betraf natürlich nicht nur die Frau, sondern alle Weiblichkeit - die gesamte Kultur. Auch Wirtschaftsunternehmen, Religionen und Staaten verloren ihre Kleidung - die den Inhalt vor der Außenwelt verbirgt - als unvermeidliche Folge, nachdem auch das Schreiben seine Scham verloren hatte und zur bloßen Erregung wurde.
Wenn letztendlich die Sprache des Kunden immer Recht hat und das einzige Geschmackskriterium ist - dann ist sein Geschmack die Nacktheit. Männer schrieben öffentlich für die Rückkehr zum verlorenen Paradies oder zu einer ursprünglichen und natürlichen Zeit, und darüber, dass die Sexualität nicht geheilt werden wird bis zur absoluten Nacktheit, die den Frieden im Geschlechterkrieg bringen wird - einem Krieg, der so alt ist wie die Kleidung selbst. Die Bekleideten wurden öffentlich beschämt, und mit der unerträglichen globalen Erwärmung und der Verwandlung der ganzen Erde in den Äquator verschwanden die Widerstandsnester in allen Bereichen, und es blieb nur noch nackte und abstrakte Literatur.
Wir, die letzten bekleideten Frauen, wurden als finstere Verhinderer des sexuellen Friedens angeprangert. Die letzten Priesterinnen der Mode. Mitglieder einer unterdrückten und unterdrückenden Körpersekte. Wir mussten Kleider tragen, die wie Haut aussahen und nannten sie Lichtkleider. Wir wurden zu einem geheimen Orden, der sich um mystische Rituale in heiligen Gewändern drehte, über die wir euch nichts verraten werden, und die mit unseren alten Schriften und unserer übrigen vielfach gewandeten Literatur verloren gingen - eine Geheimliteratur, die der Welt nie offenbart werden wird.
Die Architektur der Transparenz, deren einziges Material Glas ist und deren Wände alle Fenster sind, vertrieb uns in die Höhlen. Dort lebten wir verborgen vor aller Augen. Eifersüchtig bewahrten wir unsere geheime Kultur, nach der ihr mit Laternen suchtet, versuchtet zu spionieren und unsere heiligsten, innersten Texte ans Tageslicht zu bringen, die vor allen Menschen verborgen wurden.
Wir hätten unendliche Generationen existieren können, hätten wir uns nicht von jenem einen verführen lassen - der die Essenz des Mannes verkörperte - und sich als Lüge herausstellte. Und heute, nachdem wir wegen eines Verräters, einer verfluchten Schlange, gefasst wurden - und nachdem das transparente Rechtssystem unser Urteil zur Verbrennung all unserer Kleider vor unseren Augen in diesem öffentlichen Entkleidungsritual vor aller Augen fällte, dessen Höhepunkt ein Geständnis vor aller Ohren ist - stehe ich nackt und bloß vor euch, nur meine Tränen bedecken meine Brüste, und beweine den Tod der Sittsamkeit. Denn, versteht ihr, unsere alten Pergamentrollen aus Haut, die ihr nicht gefunden habt und auch bei all eurer Suche nicht finden werdet, sind unsere heute verbrannten Kleider. Unsere Schriften trugen wir auf unserem Körper - und nun stehen wir nackt vor euch.