Zusatzopfer: Das regelmäßige Lynching am Wochenende
Eine Offenbarung für Säkulare: Üble Nachrede ist eine schreckliche Sünde. Warum ist die Fiktion des Wochenabschnitts besser als die "Realität" der Zeitung? Und warum ist der fiktive Benutzer besser als der "echte" Benutzer?
Von: Wer sich mit der Schande seines Nächsten brüstet, hat keinen Anteil an der kommenden Welt
Der Facebook-Raum und der innere Raum: Du sollst keine Seele am Leben lassen
(Quelle)Am Wochenende (früher heiliger Schabbat) wendet sich die Masse von der Arbeit zur moralischen Arbeit. Dieselben Menschen, die niemals das gesellschaftliche Bedürfnis nach einem Tempel und Opferdienst verstehen werden (hat jemand Girard gesagt?), wenden sich ihrer eigenen heiligen Arbeit zu - in einer Art kollektivem säkularem Bedürfnis nach einem rituellen Reinigungsritus, der die heilige Zeit mit dem heiligen Ort (Facebook) verbindet. Das Opfer? Meist ein Haaretz-Interviewter, dessen Worte aus dem Zusammenhang gerissen wurden - oder auch nicht (nehmen wir an). (Und man fragt sich: Wer ist noch so dumm, sich dort interviewen zu lassen?). Manchmal gibt es zwei konkurrierende Opfer, wie es im Mussaf-Gebet [zusätzliches Gebet] heißt (das als Entsprechung zum Mussaf-Opfer eingeführt wurde): Und am Schabbat-Tag zwei einjährige Lämmer (nicht makellos). Das Schabbat-Opfer an seinem Schabbat zusätzlich zum ständigen Opfer und seiner Libation.
Für denjenigen, der Facebook erst am Ausgang des Schabbat öffnet und einen post-mortem Einblick erhält, erscheint das regelmäßige Schlachtungsritual genauso bizarr wie das Buch Levitikus für Säkulare. Dennoch lehnt die Bibel Menschenopfer ab, und selbst die kantische Moral will einen anderen Menschen nicht zum Mittel (für Likes) machen, und gewiss sollte man ihn nicht beurteilen, das heißt seine gesamte Persönlichkeit und Innerlichkeit (und Seele!), aufgrund dieses oder jenes Versprechers oder dieser oder jener Tat. Im Gegensatz zum präzisen und ästhetischen Ritual im Priesterkodex ähnelt das säkulare Wochenendopfer eher dem Hinabstürzen des Sündenbocks für Azazel [biblisches Ritual] - was der "Degeneration der Nation" eine neue Bedeutung verleiht. Denn was soll man tun, wenn es keine Tora gibt - gibt es eine Zeitung, und wenn es keinen Wochenabschnitt gibt - gibt es den Skandal der Woche. Und du sollst den Schabbat eine Wonne nennen!
Jedenfalls ist der kollektive Angriff auf einen Menschen - mit all seinen Eingeweiden und Schenkeln - eine beispiellos hässliche Sache, tausendmal hässlicher als jede hässliche Tat oder Aussage, die dieser Mensch (angeblich) begangen hat. Selbst wer wirklich gesündigt hat (und meist, und nicht zufällig, handelt es sich nicht um jemanden, der wirklich gesündigt hat) - verdient Mitgefühl und "Komplexität", wie es sogar die Masse verinnerlichen würde, wenn sie Literatur der Zeitung vorziehen würde (und hier ist noch ein Vorteil der Fiktion gegenüber der Realität!). Meistens interessieren wir uns bei "Die Degeneration der Nation" nicht für die Straßenkämpfe auf Facebook und bevorzugen eine anonyme und fiktive Diskussion, die naturgemäß die Sache selbst und nicht die Person betrifft. Auch die Position der rechtschaffenen Predigt ist nicht gerade unser stürmischer Lieblingstee. Aber die Posts sind uns bis zur Seele vorgedrungen, und da sich das Phänomen wiederholt und biblische Dimensionen annimmt (Seid ihr nicht müde davon? Seht ihr nicht das Muster? Langweilt ihr euch nicht? Und eigentlich - natürlich langweilt ihr euch!) verkünden wir hiermit öffentlich, dass der Oberrabbiner den Bann und die Ächtung über jeden verhängt, der am Bann und der Ächtung teilnimmt. Und im Bau des Tempels werden wir getröstet.
Darüber hinaus rufen wir jeden vernünftigen und verständigen Menschen dazu auf, sein echtes Facebook-Profil zu löschen (und wenn möglich auch in der Realität, das heißt auf jeder Plattform) - und es durch einen fiktiven Benutzer zu ersetzen, wie es in den frühen Tagen üblich war, als das Internet noch ein Werkzeug zur Befreiung und nicht zur Kontrolle war. Es handelt sich um eine Impfung gegen Ad-hominem, und noch mehr - um eine Selbstimpfung. Auch du wirst weniger von "Neigungen" befallen sein und weniger in narzisstische Fallen tappen, wie das Veröffentlichen von Texten, deren einziger Zweck es ist, Likes zu sammeln - wenn du nicht unter deinem eigenen Namen veröffentlichst. Der Inhalt ist der König - und die Schreiberin ist die Magd. Im Gegensatz zur Facebook-Propaganda zugunsten der "Wahrheit" verstärkt gerade die Fiktion die Menschlichkeit und Aufrichtigkeit im virtuellen Raum - so wie sie sie im literarischen Raum verstärkt. Nur wenn wir den virtuellen Raum als literarisch-fiktiven Raum anerkennen, können wir die lächerliche Ehrsucht (und ihr Gegenteil: die Erniedrigung anderer zur Selbsterhöhung) in einem Netzwerk zügeln, das ganz auf dem nackten Ehrtrieb aufgebaut ist, denn in ihm haben wir wirklich die Erfüllung des Verses erlebt: "Alle wussten damals sehr gut - wer wer mehr Likes hat". Das Fake erinnert dich immer daran, vor wem du stehst: vor dir selbst. Und wichtiger noch: dass auch du selbst ein Fake bist, und auch in dir ein fiktiver Raum ist (was früher Seele genannt wurde). Das Fake ist kein Unfall oder eine postmoderne Erfindung oder eine bedauerliche Notwendigkeit. Das Fake ist deine Seele. Und Facebook lässt dich dich von ihr entfernen - und vom inneren Raum. Und enthüllt das hässliche Gesicht.